Im September 2022 hatte ich das erste Mal das Vergnügen, die „Welthauptstadt des Parfums“ Grasse in der Provence zu bereisen. Die internationale Konferenz Phyt’Arôm für wissenschaftliche News in Phytotherapie und Aromatherapie führte mich vom 29.09. bis 03.10. in die knapp 50.000 Einwohner zählende Gemeinde im Department „Alpes-Martimes“ im Hochland von Cannes in Südostfrankreich..
Allein die Ankunft am Flughafen von Nizza war ein Fest für die Sinne. Wärme, Palmen, die grünen und weißen Schilder auf den französischen Straßen – da ich selbst bereits 6 Jahre in Frankreich gelebt hatte und zwei meiner Kinder dort quasi geboren und aufgewachsen sind war ich sofort wieder zurückversetzt in eine Zeit voller kultureller, kulinarischer und intellektueller Freuden, die das Leben in Frankreich so besonders und lebenswert machen. (Meine gescheiterte Inklusion als Vegetarierin steht auf einem anderen Blatt – Schwamm drüber :-P )
Ich nahm den Bus von Airport Nizza nach Grasse (1,50€ - really?? Unglaublich.) und kam nach absoluter Kurvenkamikazefahrt in absoluter Dunkelheit auf einem verlassenen Busbahnhof auf den Hügeln einer kleineren Stadt an: Grasse – die Stadt der Düfte? Da niemand sonst zu sehen war suchte ich mit Google Maps meinen Weg in die gebuchte Unterkunft.
Wow! Grasse um 10 Uhr abends ist so belebt wie Berlin-Mariendorf, zusätzlich sind die am Hang gebauten engen Gassen der Altstadt zwar größtenteils autolos, dafür aber eng und spärlich beleuchtet, und wie beschrieben ziemlich verlassen. Ich fand es abenteuerlich und war froh, mit Handyleuchte den Eingang zum Appartement gefunden zu haben und dort dann die Tür zuzumachen und erstmal zu schauen, wo ich mich befand.
Am nächsten Tag wurde klar, dass ich strategisch sehr gut gebucht hatte, gleich unterhalb der Kathedrale der Stadt und der Mairie der Stadt, und ca. 5 Minuten Fußweg sowohl zum Parfummuseum, zur Fabrik des Parfumeurs Fragonard und zum Konferenzcenter, in dem die Phyt’Arôm stattfand. Alles schön! Und bei Sonnenlicht auch gleich viel einladender. Allerdings muss man auch wissen, dass Grasse seine Hoch-Zeit vor mehr als 100 Jahren hatte. Damals war die Gegend rund um die Stadt gesäumt von Feldern mit Lavendel, mit Orangenbäumen und mit Jasmin, zusätzlich mit Tuberose. Unzählige Arbeiter wohnten hier, arbeiteten auf den charakteristischen Blumenplantagen, hielten die Stadt am Leben, zusätzlich zu den Parfumeuren, Landbesitzer, Adligen und Händlern. Der Anbau und die Produktion der aromatischen Pflanzen wurde nach und nach in Niedriglohn-Länder verlegt (Algerien, Marokko, Ägypten, Indien, usw.) und zusätzlich durch den Anstieg der Bodenpreise für Neubauprojekte Nahe der Côte d’Azur Ackerland nach dem 2. Weltkrieg bevorzugt zu Bauland umgewandelt. Das Resultat sehen wir heute: viel bebaute Fläche und wenig sichtbarer Anbau von aromatischen Pflanzen.
Doch auch die Ungeübtheit des Auges mag eine Rolle spielen. Der Ausblick auf die Flächen zeigt den Anbau nicht im Detail. Denn im Umland der Stadt verstecken sich in den Hügeln große Firmensitze von Käufern, Verkäufern, Produzenten und Verarbeitern aromatischer Pflanzen. Die in Grasse behandelten Rohstoffe werden aus vielen Teilen der Welt hierhin importiert und qualitativ verfeinert. Ca. 30 Parfumfabriken in und um Grasse verschicken ihre Produkte danach in die Welt. Zum Beispiel ‚Mane et Fils‘ und ‚Aromatica‘, die Geschmackstoffe und Aromen für die Industrie (Duftstoffe werden für Nahrungsmittel, Waschmittel, Kosmetik usw. verwendet) anbieten, sowie Firmen wie Essences et Parfums oder Parfums Plus die Düfte kreieren auf Bestellung. Auch die bekannte Firma Oshadi soll im Hochland von Grasse seine Destillationsanlage stehen haben um die Duftpflanzen der Umgebung erntefrisch zu verarbeiten.
In der Stadt selbst kann man die Geschichte der Duftpflanzenverarbeitung am besten im Parfummuseum der Stadt entdecken. Die Führung bringt uns zurück ins 18. Jahrhundert, in dem in Grasse die größte Bedeutung hatte. Anbaugebiete, Transportwege, wichtige Familiendynastien werden hier beschrieben. Auch im benachbarten Maison Fragonard gibt es, um dem Reisenden nachher den Kauf der hauseigenen Parfums zu erleichtern, kostenfreie Führungen durch die wirklich erfrischenden ehemaligen Produktionsstätten. Hier können riesige Destillen bestaunt, Hunderte von Duftstoffflaschen entdeckt, Rohmaterial verglichen und alte Techniken wie Enfleurage samt ihren Apparaten angesehen werden.
2 der 4 renommierten Parfumeurschulen Frankreichs befinden sich in Grasse. Die Ausbildung zum Préparateur de Parfum et Cosmétique dauert 5 Jahre und beinhaltet Kurse in Chemie, Sensorieller Evauation von Düften, Bewertung und Kommerzialisierung von Pflanzen, Parfums und Aromen, Kreation und Management. Doch auch wer weniger Zeit investieren möchte kann seine Nase schulen, indem er/sie beispielsweise den 3-tägigen Kurs ‚Initiation à l’Olfaction‘ (auf französich) besucht oder einfach in einem der Parfumhäuser der Stadt (Fragonard, Molinard, Gallimard) einen Workshop zur Parfumkreation besucht.
Wusstest du, dass Grasse ursprünglich nicht die Stadt der Düfte, sondern des Gestanks war? Hier wurde historisch Leder gegerbt, und wer schon mal in einem Viertel von Gerbern (vielleicht auf einer Reise in den Orient, wo immer noch viel gegerbt wird) spazieren war weiß, dass der Geruch dort sehr eigen ist. Die feinen Leute am Hofe von Paris und überall wollten Produkte, die nicht animalisch, sondern gut nach irgendetwas rochen, und so kam Jean de Gallimard als erster auf die Idee, für seine Kund:innen der Aristokratie das Leder mit duftenden Essenzen zu versetzen. Duftstoffe wurden zwischen die einzelnen Tierhäute gelegt, sodass letztere den Duft der Blüten und Blätter annahmen, was auch sehr gut funktionierte. Der Bedarf nach gut riechenden Lederwaren wuchs, und damit auch die Duftindustrie. Grasse war durch seine Lage im hochgelegenen Hinterland und ein dadurch spezielles Klima besonders für den Anbau der aromatischen Duftpflanzen geeignet und perfektionierte dadurch seinen Anbau, die Kultivierung, den Handel und die Vermarktung von Düften.
Insider-Tipp: Die Düfte in den großen Parfumhäusern sind nicht 100% naturrein wie ätherische Öle (sein sollten). Einzelne „Zutaten“ werden auch synthetisch im Labor hergestellt, oft da sich die Moleküle nicht wie gewünscht aus dem Naturrohstoff extrahieren lassen. Wer in Grasse Interesse an 100% Naturparfum hat, ist bei Jessica Buchanan von ‚1000 Flowers“ gut aufgehoben (Place aux Aires, historische Altstadt)
Ich habe in diesem Artikel beileibe nicht alle Dinge erzählen können, die Grasse zu bieten hat. Wenn du eine Frage hast, schreib sie gerne in die Kommentare – ich antworte dir so schnell es geht!
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